Aktuelle Rechtsprechung

Webcontent Recht Basis 07-2024

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 07-2024:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Abschließende Hinweise

Zum Anfang



Arbeitsrecht

Charakterliche Eignung: Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Probebeamtenverhältnis

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |

Das war geschehen

Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.

Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.

Kläger kein „unbescholtenes Blatt“

Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23.KO, PM 5/24

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Arbeitsvertragsklausel: Kündigung einer TV-Moderatorin wegen Wettbewerbstätigkeit wirksam

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |

Einschränkungen im Arbeitsvertrag

Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.

Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne

Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.

Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.

Arbeitsgericht bestätigt Kündigung

Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online- Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.

Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar

Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.

Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23

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Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt

Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.

Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an

Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.

Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.

Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24

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Kündigungsschutzklage: Schlägerei im Linienbus führt zur Kündigung des Fahrers

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Göttingen hat die Kündigungsschutzklage eines Busfahrers gegen die Göttinger Verkehrsbetriebe GmbH als unbegründet abgewiesen. Sein Verhalten in dem konkreten Fall sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung gewesen. |

Fahrer schlägt Fahrgast: fristlose Kündigung

Der Kläger ist seit 25 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und wurde im Sommer 2023 fristlos gekündigt. Die Beklagte hat dem Kläger vorgeworfen, dass dieser einen Fahrgast gewaltsam von seinem Sitz gezogen und aus dem Bus geworfen habe. Nachdem der Fahrgast auf den Boden gefallen und wieder aufgestanden war, soll der Kläger ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.

Der Kläger behauptete, dass der alkoholisierte Fahrgast eine junge Frau belästigt habe. Zudem habe er sich geweigert, einen Fahrausweis zu zeigen und ihn den Kläger beleidigt. Auf Aufforderung habe er den Bus nicht verlassen. Nach dem Rauswurf habe der Fahrgast mit einer Getränkedose in der Hand eine Bewegung auf ihn zu gemacht und sich ihm drohend genähert. Daraufhin habe er der Kläger im Affekt eine Abwehr-/Schlagbewegung vollführt.

Der Bus ist mit sechs Überwachungskameras ausgestattet. Das ArbG hat die Videoaufzeichnungen in Augenschein genommen. Darauf ist zu erkennen, dass die Vorwürfe der Beklagten im Wesentlichen zutreffen. Der Kläger hat den Fahrgast, nachdem dieser auf seine Ansprache und die Aufforderung, den Bus zu verlassen, nicht reagierte, vom Sitz gezogen, wodurch dieser noch im Bus hingefallen ist. Im Anschluss daran griff der Kläger den Fahrgast von hinten an der Kleidung, um ihn aus dem Bus zu befördern. Auf dem Bürgersteig ist der Fahrgast aufgestanden. Daraufhin hat der Kläger ihn in der Nähe des Halses an der Kleidung gepackt und mit der Faust ausgeholt. Ob er den Fahrgast getroffen hat, ist auf dem Video nicht eindeutig zu erkennen.

Ob der alkoholisierte Fahrgast zuvor andere Fahrgäste belästigt hatte, ließ sich über die Videoaufzeichnungen nicht feststellen. Im Vorfeld war eine junge Frau aufgestanden, da sie den Fahrgast offensichtlich als unangenehm empfunden hat. Zum Zeitpunkt des Vorfalls befand sich diese aber nicht mehr in der Nähe.

Große Belastung durch schwierige Fahrgäste, aber Abmahnung nicht nötig

Nach Ansicht des Gerichts stellt das Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung dar. Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass schwierige Fahrgäste für Busfahrer eine große Belastung darstellen. Nachdem der Fahrgast den Bus nicht freiwillig verlassen wollte, hätte der Kläger aber die Leitstelle oder die Polizei anrufen können und müssen. Eine vorherige Abmahnung war aus der Sicht des Gerichts nicht erforderlich.

Quelle | ArbG Göttingen, Urteil vom 23.1.2024, 1 Ca 219/23, PM vom 30.1.2024

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Baurecht

Fristüberschreitung: Investoren müssen Vertragsstrafe an Planungsverband zahlen

| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |

Frist für Bebauungsplan vereinbart

Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.

Frist überschritten: Vertragsstrafe

Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.

Anforderungen eingehalten

Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.

Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen

Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.

Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24

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Privilegiertes Bauvorhaben: Kleinwindenergieanlagen für Eigengebrauch im Außenbereich

| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |

Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab

Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.

Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie

Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.

Keine Gefahr von Wildwuchs

Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.

Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23.OVG, PM 6/24

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Familien- und Erbrecht

Umgangsrecht: Vertragsstrafen und vertragsstrafenähnliche Klauseln zur Durchsetzung von Umgangsvereinbarung unzulässig

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Eine Elternvereinbarung zum persönlichen Umgang mit dem Kind kann nicht unter Umgehung einer gerichtlichen Kindeswohlkontrolle durch Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder einer vertragsstrafenähnlichen Klausel erzwingbar gemacht werden. |

Das war geschehen

Die Antragstellerin ist peruanische Staatsgehörige. Aus ihrer 2002 geschlossenen Ehe mit dem Antragsgegner, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sind eine 2007 geborene Tochter und ein 2012 geborener Sohn hervorgegangen. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Ehegatten war in Deutschland, wo der Antragsgegner weiterhin lebt und arbeitet. Die Antragstellerin siedelte 2011 unter zwischen den Beteiligten streitigen Umständen mit der Tochter nach Peru über, wo im Folgejahr auch der Sohn geboren wurde. Seitdem sie Deutschland verlassen hatte, ließ sie einen persönlichen Umgang des Antragsgegners mit den gemeinsamen Kindern nur dann zu, wenn sich dieser besuchsweise in Peru aufhielt. Die Ehe der Beteiligten wurde 2017 rechtskräftig geschieden. Die Antragstellerin machte güterrechtliche Ansprüche geltend.

Das verlangte die Antragstellerin

Die Antragstellerin hat Zahlung eines Zugewinnausgleichs in Höhe von 80.000 Euro verlangt. Im Dezember 2021 haben die Beteiligten vor dem Amtsgericht (AG) einen gerichtlich protokollierten Vergleich geschlossen, wonach der Antragsgegner zur Abgeltung sämtlicher güterrechtlichen Forderungen einen Betrag von 60.000 Euro in drei jährlichen Raten zu jeweils 20.000 Euro an die Antragstellerin zahlen muss. Die jährlichen Raten sollten erst fällig werden, wenn zuvor ein dreiwöchiger Umgang der gemeinsamen Kinder mit dem Antragsgegner in Deutschland stattgefunden hatte. Das AG hat diesen Vergleich familiengerichtlich gebilligt. Diese Billigung wurde auf eine Beschwerde der Antragstellerin wieder aufgehoben, weil das AG keine den verfahrensrechtlichen Garantien des Kindschaftsrechts genügende Kindeswohlprüfung durchgeführt habe.

Die Antragstellerin hält den gerichtlichen Vergleich für nichtig und hat im Mai 2022 die Fortsetzung des güterrechtlichen Verfahrens beantragt. Das AG hat diesen Antrag zurückgewiesen und festgestellt, dass das Zugewinnausgleichsverfahren durch den Vergleich beendet worden ist. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Ziel der Verfahrensfortsetzung weiter.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Er hat die im gerichtlichen Vergleich enthaltene Stundungsvereinbarung wegen der Verknüpfung der Ratenfälligkeit mit der tatsächlichen Gewährung des vereinbarten Umgangs der Kinder mit dem Antragsgegner in Deutschland als sittenwidrig angesehen.

Zwar muss nicht schlechthin jeder von den Eltern hergestellte Zusammenhang zwischen einer Vereinbarung zum persönlichen Umgang mit dem Kind und einer Beilegung ihrer vermögensrechtlichen Streitigkeiten unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Kommerzialisierung des Umgangsrechts missbilligt werden. Gleichwohl besteht bei einer vertraglichen Verknüpfung von Vermögensbelangen der Eltern und dem persönlichen Umgang mit dem Kind aus dem Blickwinkel des Kindeswohls grundsätzlich immer die Gefahr, dass Gewährung und Ausgestaltung des Umgangs maßgeblich von wirtschaftlichen Interessen der Eltern bestimmt werden, das Kind auf diese Weise zum Objekt eines Handels gemacht und besonderen Loyalitätskonflikten ausgesetzt wird.

Sittenwidrige Vereinbarung

Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist bei solchen Vereinbarungen aber überschritten, wenn sie die von den Eltern getroffene Umgangsregelung unter Ausschluss einer gerichtlichen Kindeswohlkontrolle erzwingbar machen soll. Das Umgangsrecht untersteht nicht der freien vertraglichen Disposition der Eltern. Ohne eine sachliche Kontrolle durch das Familiengericht am Maßstab des Kindeswohls können die Eltern nach geltendem Recht die Vollstreckbarkeit einer von ihnen getroffenen Umgangsvereinbarung nicht herbeiführen. Das Erfordernis der gerichtlichen Billigung der Umgangsvereinbarung als notwendiger Voraussetzung ihrer Vollziehbarkeit kann nicht dadurch überflüssig gemacht werden, dass die Eltern eine Vertragsstrafe oder eine vertragsstrafenähnliche Klausel für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen die von ihnen getroffenen Umgangsregelungen vereinbaren. Auch zur Durchsetzung eines gerichtlich gebilligten Umgangsvergleichs wird eine Vertragsstrafenvereinbarung – zumindest in reinen Inlandsfällen – wegen einer Umgehung des staatlich regulierten Vollstreckungsverfahrens regelmäßig unwirksam sein.

Danach ist die Verknüpfung der Fälligkeit der auf die Vergleichssumme zu zahlenden Raten mit der Gewährung des Umgangs mit den Kindern in Deutschland sittenwidrig. Sie bezweckte die Ausübung wirtschaftlichen Drucks auf die Antragstellerin, die zwischen den Eltern im gerichtlichen Vergleich getroffene Umgangsvereinbarung einzuhalten, was der Regelung in ihrer Wirkung einen vertragsstrafenähnlichen Charakter verleiht.

Kindeswohl entscheidend

Eine familiengerichtliche Kontrolle der Umgangsvereinbarung am Maßstab des Kindeswohls, die zwingend eine Beteiligung der Kinder am Verfahren und deren Anhörung durch das Gericht zur Erforschung ihres Willens erfordert hätte, hat in Deutschland – was den Beteiligten bewusst war – nicht stattgefunden. Die überdies auch verfahrensordnungswidrig im Zugewinnausgleichsverfahren erfolgte familiengerichtliche Billigung der Umgangsregelung durch das Amtsgericht ist dementsprechend im Beschwerdeverfahren zu Recht aufgehoben worden.

Auch mit Blick auf den Auslandsbezug des Sachverhalts ergibt sich nichts anderes, so der BGH.

Das OLG muss nun prüfen, ob die Sittenwidrigkeit der an die Durchführung der Umgangskontakte geknüpften Regelungen zur Ratenfälligkeit den gesamten gerichtlichen Vergleich erfasst. Es wird daher beurteilen müssen, ob die Beteiligten den Vergleich über 60.000 Euro zur Abgeltung der güterrechtlichen Forderungen auch geschlossen hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass die Fälligkeit der Vergleichssumme bzw. der darauf zu zahlenden Raten nicht an die Durchführung eines der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Umgangs mit den gemeinsamen Kindern geknüpft werden konnte.

Quelle | BGH, Beschluss vom 31.1.2024, XII ZB 385/23, PM 36/2024

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Download: Steuertipps für Familien: Kindergeld und weitere Vergünstigungen

| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende. Er kann unter www.iww.de/s10532 heruntergeladen werden. |

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Testamentsanfechtung: Wann wird ein Testament durch ein widersprüchliches neues Testament aufgehoben?

| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament ganz oder teilweise aufgehoben wird. |

Vier handschriftliche Testamente

Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.

Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.14.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.

Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.

So sah es das Oberlandesgericht

Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23, Abruf-Nr. 239737 unter www.iww.de

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Mietrecht und WEG

Mieterhöhungsverlangen: Modernisierungsmieterhöhung trotz Mietpreisbremse möglich

| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10% übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |

Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete

Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.

Klage hatte teilweise Erfolg

Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa nicht notwendig vollständig entspreche.

Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.

Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22

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Bauliche Veränderungen: Anspruch auf Ladeeinrichtung hat Grenzen

| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |

Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule

Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.

Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen

Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nicht öffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.

Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme

Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.

Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.

Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21

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Verbraucherrecht

Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |

Infektionsschutzgesetz verfassungskonform

Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.

Impfpflicht besteht

Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung zu erreichen.

Die Beschlüsse sind unanfechtbar.

Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24

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Tierüberlassungsvertrag: Tierheim darf keine Katzen sicherstellen

| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Ein Tierheim besitzt keine Befugnis, vermittelte Tiere ihren Besitzern eigenmächtig wieder wegzunehmen. |

Vertraglich geregelte Anbringung eines Fliegengitters

Der Antragstellerin war vom Antragsgegner, einem Tierheim, ein Kater überlassen worden. Nach dem „Tierüberlassungsvertrag“ müsse ihre Balkontür mit einem Fliegengitter gesichert werden, zudem solle das Tier abnehmen. Nach knapp einem Jahr erkundigte sich der Antragsgegner telefonisch, ob das Tier abgenommen habe und das Fliegengitter angebracht worden sei. Die Antragstellerin verneinte die Anbringung des Fliegengitters mangels Notwendigkeit, da der Kater sehr ängstlich sei und nie auf den Balkon gehe. Ob das Tier abgenommen habe, wisse sie nicht, da sie ihn nicht gewogen habe.

Gitter nicht angebracht: Tierheimpersonal erscheint und nimmt Kater mit

Knapp 30 Minuten später erschienen zwei Personen unangemeldet bei der Antragstellerin und teilten mit, sie kämen „vom Tierheim“. Sogleich nach Betreten der Wohnung stürzte eine der beiden Personen auf den Kater, der die Flucht ergriff, denn „man nehme den Kater jetzt mit“. Trotz Widerspruchs der Antragstellerin jagten die Personen den Kater und verrückten dabei sogar Wohnungsmöbel. Der Kater wurde schließlich mit einem Fangnetz eingefangen und mit den Worten „den kriegen Sie nicht wieder“ mitgenommen.

Tierheim muss Kater wieder herausgeben

Nachdem die Antragstellerin auf Herausgabe des Tiers geklagte hatte, wurde dieses noch während des Verfahrens an sie zurückgegeben. Das AG entschied dann, dass der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens tragen müsse. Ob die Regelungen in dem „Tierüberlassungsvertrag“ wirksam waren und eventuell nicht eingehalten wurden, könne dahinstehen. Denn die eigenmächtige Wegnahme des Tieres stelle verbotene Eigenmacht dar. Mögliche Ansprüche müsse der Antragsgegner gerichtlich durchsetzen und könne sie nicht selbst vollstrecken.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 4.1.2024, 98 C 98/23, PM vom 4.3.2024

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Nötigung: Wegnehmen von Fan-Schal muss nicht immer Diebstahl sein

| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |

Wegnahme nach Fußballspiel

Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.

Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls – einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.

Amtsgericht differenzierte

Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und sofern der Schal anschließend beschädigt würde um eine Sachbeschädigung.

Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.

Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024

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Versicherungsfall: Brand eines Oldtimers

| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |

Das war geschehen

Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.

Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.

Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend

Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.

Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O 230/23, PM vom 28.2.2024

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Nachbarrecht: Schadenersatz bei gravierendem Baumrückschnitt eines Nachbarn ohne Einwilligung des Eigentümers

| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |

Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend

Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u.a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.

Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.

Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu

Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.

Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden

Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.

Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.

Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24

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Verkehrsrecht

Kosten für Leerfahrt: Abschleppen eines Privatfahrzeugs von Carsharing-Parkplatz darf angeordnet werden

| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |

Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.

Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024

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Abschleppkosten: Versicherer-Einwand von zu großem Abschlepp-Lkw

| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |

Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.

Das Gericht entschied: Es möge es sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.

Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23, Abruf-Nr. 239252 unter www.iww.de

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Versicherungsschutz: Tödlicher Motorradunfall auf dem Rückweg vom Urlaub: Unfallversicherung muss Witwe Rente zahlen

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |

Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt

Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.

Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab

Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu

Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.

Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.

Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024

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Drogenfahrt: Anfangsverdacht für Anordnung einer Blutprobe

| Bei der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe kann sich die Frage des sog. Richtervorbehalts stellen. Das bedeutet, dass nur ein Richter bestimmte Maßnahmen anordnen kann. Das Amtsgericht (AG) Ratzeburg hatte zu entscheiden, wann eine Blutprobe durch einen Polizeibeamten angeordnet werden kann. |

Polizist vermutete eine Drogenfahrt und ordnete Blutprobe an

In dem Fall hatte der Fahrer eines Pkw bei einer Standkontrolle auf einem BAB-Rastplatz sehr nervös gewirkt. Er konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte er häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal, um in seine Hosentaschen zu greifen. Zudem war er redselig und aus Sicht des kontrollierenden Polizeibeamten unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der den Verdacht ab, dass der Betroffene eine Drogenfahrt begangen haben könnte. Da der Pkw-Fahrer einen Urintest verweigerte, wurde eine Blutprobe angeordnet. Nach deren Ergebnis befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Verteidigung hatte keinen Erfolg

Zwar sei die Anordnung einer Blutprobe im Bußgeldverfahren eine Maßnahme, die grundsätzlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar ist. Hier habe die Blutentnahme aber nicht durch einen Richter angeordnet werden müssen.

Der Gesetzeswortlaut fordert einen „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setzt nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen.

Entscheidend: viele Auffälligkeiten beim Autofahrer

Das AG hat dem Verteidiger zwar zugestanden, dass die von dem Polizeibeamten geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Drogenfahrt nicht begründen könnten. Entscheidend sei indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen vorgelegen haben, die eben diesen Verdacht begründeten.

Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären.

Quelle | AG Ratzeburg, Urteil vom 22.12.2023, 31a OWi 46/23 jug., Abruf-Nr. 239089 unter www.iww.de

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Abschließende Hinweise

Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 07/2024

| Im Monat Juli 2024 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer: 10.7.2024
  • Lohnsteuer: 10.7.2024

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 15.7.2024. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Juli 2024 am 29.7.2024.

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Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2024 bis zum 30. Juni 2024 beträgt 3,62 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,62 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,62 Prozent*

* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,62 Prozent.

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.07.2023 bis 31.12.2023

3,12 Prozent

01.01.2023 bis 30.06.2023

1,62 Prozent

01.07.2022 bis 31.12.2022

-0,88 Prozent

01.01.2022 bis 30.06.2022

-0,88 Prozent

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

01.01.2011 bis 30.06.2011

0,12 Prozent

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Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 03-2023:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Abschließende Hinweise

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Arbeitsrecht


Fristlose Kündigung: Krankgeschrieben an Party teilgenommen

| Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für zwei Tage krank und nimmt an einer „Wild Night Ibiza Party“ teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann laut dem Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg gerechtfertigt sein. |

Die Arbeitnehmerin war als Pflegeassistentin beschäftigt. Sie war für einen Samstag und einen Sonntag zum Spätdienst eingeteilt. Hierfür meldete sie sich krank. In dieser Nacht nahm sie an einem bekannten Veranstaltungsort an der „White Night Ibiza Party“ teil. Der Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin fristlos. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage. Das ArbG Siegburg wies die Klage ab und bestätigte die fristlose Kündigung. Der wichtige Kündigungsgrund liege darin, dass die Klägerin über ihre Erkrankung getäuscht und das Vertrauen in ihre Redlichkeit zerstört habe. Sie hatte am Tag ihrer angeblich bestehenden Arbeitsunfähigkeit bester Laune und ersichtlich bester Gesundheit an der Party teilgenommen, während sie sich arbeitsunfähig gemeldet hatte dokumentiert durch Fotos. Der Beweiswert der AU-Bescheinigung war somit erschüttert. Die Erklärung, sie habe an einer zweitägigen psychischen Erkrankung gelitten, die vom Arzt nachträglich festgestellt worden sei, glaubte das Gericht nicht.

Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 16.12.2022, 5 Ca 1200/22

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Ausgestreckter Mittelfinger: Außerordentliche Kündigung? Auf die Umstände kommt es an!

| Die fotografisch festgehaltene Geste eines Flugzeugkapitäns, der am Ende des letzten regulären Flugeinsatzes an der von seinem Arbeitgeber geschlossenen Station nach Landung und Räumung des Flugzeugs mit seiner Crew gemeinsam den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Kamera hält, kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |

Das LAG: So ist es jedenfalls, wenn diese Geste nachweislich gegen den Arbeitgeber gerichtet und damit beleidigend gemeint ist. Ist die Geste hingegen unwiderlegt als ein symbolisches Ausstrecken des Mittelfingers in Richtung „Corona“ als dem Grund für die Schließung der Flugzeugbasis und damit den Verlust der Arbeitsplätze gemeint, begründet das damit lediglich noch vorliegende unangemessene Verhalten keine außerordentliche Kündigung. Das gilt erst recht, wenn sich in der Firmenzentrale bekanntermaßen ein großes Wand-Bild mit einer beide Mittelfinger ausstreckenden Seniorin als Kunstobjekt befindet und mithin der Arbeitgeber selbst gegenüber derlei Gesten ein entspanntes Verhältnis pflegt.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 5.4.2022, 3 Sa 364/21

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Altersdiskriminierung: Auch Schiedsrichter sind geschützt

| Einem Schiedsrichter steht eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung zu, wenn er aufgrund des Erreichens der Altersgrenze von 47 Jahren nicht mehr in die Schiedsrichterliste des Deutschen Fußballbundes (DFB) aufgenommen worden ist. Das hat das Landgericht (LG) Frankfurt am Main aktuell entschieden. |

DFB: Regularisch keine Altersgrenze festgelegt

Der DFB hat die Hoheit über den Arbeitsmarkt und den Einsatz von Schiedsrichtern im deutschen Fußball (sog. „Ein-Platz-Prinzip“). In seinen Regularien ist eine Altersgrenze für die Aufnahme in die Schiedsrichterlisten im Profifußball nicht vorgesehen. Jedoch scheiden Elite-Schiedsrichter regelmäßig im Alter von 47 Jahren aus. Davon wurde in den letzten fast vier Jahrzehnten keine Ausnahme gemacht.

Bundesliga-Schiedsrichter mit 47 Jahren „ausgemustert“

Der Kläger war seit vielen Jahren Schiedsrichter im Auftrag des DFB. Seit 2004 leitete er Spiele der ersten Bundesliga. Nachdem der Kläger 47 Jahre alt geworden war, nahm ihn der DFB ab der Saison 2021/2022 nicht mehr in seine Schiedsrichterliste auf. Vor dem LG hat der Kläger vom DFB eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und den potenziellen Verdienstausfall für die Saison 2021/2022 verlangt sowie die Feststellung, dass der DFB auch künftige Schäden (z.B. Verdienstausfall) ersetzen müsse.

Landgericht: Altersdiskriminierung liegt vor

Das LG hat dem Kläger jetzt eine Entschädigung von 48.500 Euro wegen einer Diskriminierung aufgrund seines Alters nach dem sog. Antidiskriminierungsgesetz zugesprochen. Für diesen Entschädigungsanspruch sei es ausreichend, wenn das Alter mitursächlich für die Beendigung der Schiedsrichterlaufbahn war. Ob auch andere Gründe eine Rolle spielten, sei rechtlich nicht maßgeblich.

Praktizierte Altersgrenze…

Wenngleich in den Regelwerken des DFB eine Altersgrenze für Schiedsrichter nicht schriftlich fixiert sei, bestehe aber tatsächlich eine praktizierte Altersgrenze von 47 Jahren. Denn die Bewerber würden ab diesem Lebensjahr nahezu ausnahmslos nicht mehr berücksichtigt und der DFB habe die Bedeutung dieses Alters für das Ende einer Schiedsrichtertätigkeit auch öffentlich bekundet.

… ist willkürlich

Es sei im Ergebnis willkürlich und daher nach den Regeln des Antidiskriminierungsgesetzes nicht gerechtfertigt, auf eine feste Altersgrenze von 47 Jahren abzustellen. Zwar habe das Alter aus biologischen Gründen eine statistische Relevanz für die Eignung als Schiedsrichter, weil mit ihm die Leistungsfähigkeit nachlässt und das Verletzungsrisiko steige. Warum gerade das Alter von 47 Jahren für die Leistungsfähigkeit eines Elite-Schiedsrichters ausschlaggebend sein soll, wurde nicht dargelegt, etwa durch einen wissenschaftlichen Nachweis oder einen näher begründeten Erfahrungswert. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die individuelle Tauglichkeit der relativ geringen Anzahl von Bundesligaschiedsrichtern nicht in einem an Leistungskriterien orientierten transparenten Bewerbungsverfahren festgestellt werden könne. Adäquate und gegebenenfalls wiederholte Leistungstests und -nachweise seien gegenüber einer starren Altersgrenze vorzugswürdig.

Entschädigung für Schiedsrichter

Für die Höhe der Entschädigung war nach dem LG u. a. maßgeblich, dass das Antidiskriminierungsgesetz Sanktionscharakter hat. Die Benachteiligung des Klägers wiege schwer, weil sie von dem wirtschaftsstarken und eine Monopolstellung innehabenden Beklagten bewusst und ohne Rechtfertigungsansatz erfolgt sei.

Jedoch kein Ersatz von Verdienstausfall

Ohne Erfolg blieb jedoch die Forderung des Klägers auf Ersatz von materiellen Schäden, insbesondere auf Zahlung von Verdienstausfall. Insoweit wurde seine Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht dargetan, dass er ohne die Altersgrenze tatsächlich bei der Listenaufstellung berücksichtigt worden wäre. Dafür hätte er nicht nur erklären und unter Umständen beweisen müssen, dass er nicht nur für die Stelle geeignet, sondern vielmehr der „bestgeeignetste“ Bewerber war. Diesen Nachweis habe der Kläger nicht erbracht.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) angefochten werden.

Quelle | LG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.1.2023, 2-16 O 22/21

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Schweres Dienstvergehen: Beamter: Lieber keine dienstlichen Anordnungen verweigern

| Weigert sich eine Beamtin, dienstliche Anordnungen bezüglich der Corona-Pandemie umzusetzen, kann sie aus dem Dienst entfernt werden. Das hat nun das Verwaltungsgericht (VG) Trier klargestellt. |

Das war geschehen

Der Beamtin wurde zur Last gelegt, beharrlich kundgetan zu haben, sich nicht an eine Hausverfügung zur Umsetzung einer Corona-Bekämpfungsverordnung bezüglich der Corona-Testpflicht nach längerer Abwesenheit vom Arbeitsplatz halten zu wollen. Sie werde sich auch vor dem anstehenden Einsatztraining und Dienstsport nicht testen lassen. Ihre Verweigerungshaltung äußerte sie in einer E-Mail an den Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA), gegenüber ihrem Vorgesetzten sowie in einem Personalgespräch. Sie äußerte sich gegenüber Kollegen, dem Vorgesetzten und dem JVA-Leiter wiederholt kritisch gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, indem sie die Corona-Pandemie u.a. als „Propagandazirkus, gezielte Angst- und Panikmache sowie gezielte Täuschung des Staates“ bezeichnete und riet Gefangenen von einer Impfung ab. Das Land erhob Klage, um die Beamtin aus dem Dienst zu entfernen.

Schweres Dienstvergehen: Vertrauensbasis erschüttert

Das VG wertete die beharrliche Verweigerungshaltung der Beamtin sowie ihre wiederholten innerdienstlichen Äußerungen als einheitliches schweres Dienstvergehen. Damit habe sie das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Die ernsthaft gemeinte Ankündigung eines Beamten, einer Weisung zukünftig nicht Folge leisten zu wollen, könne eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses zur Folge haben.

Nicht nur eigene Meinung kundgetan, sondern auch Gefangene manipuliert

Mit ihren Äußerungen habe sie die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten. Sie habe den Rahmen sachlicher Kritik an Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung weit verlassen. Die Beamtin habe ihr Vertrauensverhältnis zu den von ihr zu betreuenden Gefangenen dazu ausgenutzt, diese im Rahmen einer Abfrage der Impfbereitschaft durch gezielte einseitige, manipulative Informationen von einer Impfung abzuhalten. Damit habe sie gegen ihre Pflicht zur gewissenhaften Pflichterfüllung im Strafvollzug verstoßen. Mit ihrem Verhalten habe sie klar zu erkennen gegeben, dass sie sich aus allein eigennützigen Motiven an die aus Fürsorgegesichtspunkten erlassenen Schutzmaßnahmen für Leib und Leben nicht gebunden fühle und sich dieser Gemeinwohlverpflichtung nicht unterwerfen wolle.

Beamtin war unbelehrbar

Durch das im Laufe des Verfahrens zutage getretene unbelehrbare Persönlichkeitsbild der Beamtin sei auch künftig ein pflichtgemäßes Verhalten nicht zu erwarten. Eine Entfernung aus dem Dienst sei daher geboten.

Quelle | VG Trier, Urteil vom 21.6.2022, 3 K 802/22.TR, Abruf-Nr. 231853 unter www.iww.de

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Baurecht


Vertragsrecht: Nur was vertraglich vereinbart ist, ist auch geschuldet

| Immer wieder gibt es vor allem im Baurecht Streit über Vertragsinhalte. Das gilt besonders, wenn später Mängel auftreten. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat daher klargestellt, dass nur das geschuldet wird, was genau auch so vereinbart war. |

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte vom Architekten Schadenersatz verlangt. Dieser hatte es im Rahmen seiner Bauüberwachungspflicht unterlassen, das Bauunternehmen von der Herstellung einer Innendrainage am Gebäude abzuhalten und stattdessen eine Außendrainage vorzugeben. Im Vertrag war die Überwachung einer Innendrainage geregelt, obwohl der Architekt vor Auftragserteilung darauf hingewiesen hatte, dass deren Ausführung nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche.

Das OLG hat die Schadenersatzklage abgewiesen. Der Auftragsinhalt werde nicht durch Beschlüsse der Eigentümerversammlung formuliert, sondern anhand des Vertrags zwischen der Eigentümergemeinschaft und dem Architekten (Innendrainage trotz Bedenken des Planers). Hier habe (der bevollmächtigte) Verwalter der Eigentümergemeinschaft den Vertrag mit dem Architekten geschlossen. Von einer Außendrainage stand darin nichts. Da der Architekt seine Bedenken gegen die Innendrainage rechtzeitig vorgebracht und die Eigentümergemeinschaft sich darüber hinweggesetzt hatte, war sein Hinwirken auf eine Außendrainage obsolet.

Auch musste der Eigentümergemeinschaft klar sein, dass sie hier ausdrücklich und gegen den Vorschlag des Architekten eine andere Drainage vorgegeben hatte.

Die Entscheidung ist inzwischen rechtskräftig.

Quelle | OLG Hamburg, Urteil vom 11.11.2020, 8 U 145/19, Abruf-Nr. 230776 unter www.iww.de

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Honorarvereinbarung: Vergütung über die Zielfindungsphase hinaus

| Der Auftragnehmer eines nach dem 1.1.2018 geschlossenen, die Zielfindungsphase ausdrücklich aufnehmenden Architektenvertrags, kann Honorar für darüberhinausgehende Leistungen nur unter der Voraussetzung beanspruchen, dass er die mindestens erforderlichen Ergebnisse jener Phase dem Auftraggeber zur Prüfung vorgelegt und hierzu eine klare Billigungserklärung erhalten hat. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |

Das OLG hält dafür mindestens die Vorlage einer Kosteneinschätzung für erforderlich, die erkennen lässt, worauf sie sich bezieht und woraus sie hergeleitet ist. Eine vertraglich vereinbarte Kosteneinschätzung in der Gliederung eines Kostenrahmens gemäß der Norm DIN 276 (1. Gliederungsebene) sei mit der bloßen Angabe einer Summe nicht erbracht.

Wegen der mangelnden Finanzierbarkeit des Objekts wurde der Architektenvertrag vom Bauherrn nach der Zielfindungsphase formnichtig gekündigt. Da der Architekt der Kündigung aber nicht widersprochen, sondern Schlussabrechnung erteilt hat, ging das OLG von einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung aus.

Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 16.5.2022, 29 U 94/21, Abruf-Nr. 230284 unter www.iww.de

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Tierhaltung: Hängebauchschweine dürfen nicht im Wohngebiet gehalten werden

| Zwei Hängebauchschweine dürfen nicht weiter im Garten eines Wohngrundstücks in Recklinghausen gehalten werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden. Es hat damit einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Gelsenkirchen bestätigt. |

Das war geschehen

Die Stadt Recklinghausen ist gegen die Schweinehaltung unter anderem eingeschritten, weil insbesondere die Belästigung der Nachbarn durch Gerüche ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Nutzungsuntersagung begründe. Das VG hielt diese Verfügung für rechtmäßig, weil die Halterin der Schweine (Antragstellerin) nicht im Besitz einer Baugenehmigung für die Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur Tierhaltung auf ihrem Grundstück war. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Grundstück der Antragstellerin liegt in einem Wohngebiet, in dem nur eine Kleintierhaltung als Annex zum Wohnen zulässig ist. Das setzt voraus, dass die Tierhaltung in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht übersteigt. Hobbymäßig gehaltene Hängebauchschweine sind keine Kleintiere in diesem Sinne, weil die Haltung von Schweinen typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen führt, die in Wohngebieten nicht üblich sind.

So entschied das Oberverwaltungsgericht

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Zur Begründung hat das OVG ausgeführt: Der Einwand der Antragstellerin, die zwingend zu prüfenden Belange des Wohls der beiden Tiere seien nicht hinreichend berücksichtigt worden, ist unzutreffend. Die Antragstellerin hat keine Gesichtspunkte dafür gezeigt, dass entgegen der Annahme des VG die Haltung von Hängebauchschweinen eine in einem Wohngebiet zulässige Kleintierhaltung ist. Ob die Haltung der Schweine durch die Antragstellerin tatsächlich zu einer Belästigung der Nachbarn durch Gerüche führt, ist insoweit letztlich unerheblich. Die der Antragstellerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung gesetzte Frist von circa drei Wochen ist in Würdigung der offensichtlichen Baurechtswidrigkeit verhältnismäßig, zumal die Antragstellerin etwa einen Monat vor Erlass der Verfügung dazu angehört worden ist und seitdem damit rechnen musste, die Schweine nicht länger in ihrem Garten halten zu können.

Tierhalterin war uneinsichtig

Das OVG hat keine Zweifel daran, dass es möglich war, die Schweine innerhalb dieses Zeitraums ggf. gegen Bezahlung anderweitig unterzubringen. Es bestehen aber Zweifel daran, dass sich die Antragstellerin ernsthaft um eine anderweitige Unterbringung der Tiere bemüht hat und bemüht. Denn sie hält die Schweine trotz der Nutzungsuntersagung auch nach mehr als einem halben Jahr noch immer auf ihrem Grundstück.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle | OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2.11.2022, 10 B 1092/22, PM vom 2.11.2022

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Familien- und Erbrecht


Nachlassschulden: Kinder haften für verstorbene Eltern

| Stirbt eine versicherte Person und hat die Rentenversicherung noch offene Forderungen gegen diese, handelt es sich um Nachlassschulden. So entschied es das Bundessozialgericht (BSG). Folge: Die Rentenversicherung darf das Geld von den Erben fordern. |

Es ging um Forderungen der Rentenversicherung der Eltern

Die Rentenversicherung forderte rund 5.200 Euro von einer Frau. Sie war damit nicht einverstanden und klagte. Noch bevor ein Urteil ergehen konnte, starb die Frau. Ihr Ehemann, der Alleinerbe, prozessierte weiter, verlor jedoch in zwei Instanzen. Nachdem auch er verstarb, erbten seine zwei Töchter jeweils hälftig. Die Rentenversicherung teilte ihre Forderung hälftig auf und forderte diese Beträge von den Töchtern. Eine der Töchter, die unehelich war, klagte dagegen. Ihr Argument: Die Forderung sei gegen die Ehefrau ihres Vaters gerichtet. Diese sei aber nicht ihre Mutter.

Nachlassverbindlichkeiten

Zum Nachlass gehören auch Verbindlichkeiten. Die Rentenversicherung darf folglich nach dem Tod des Versicherten die Erben in Anspruch nehmen.

Bescheid war allerdings rechtswidrig

Hier gab es jedoch eine Besonderheit: Es gab zwei Erben. In solchen Fällen hat die Rentenversicherung ein sog. „Auswahlermessen“. Das bedeutet, sie darf sich aussuchen, von welchem Erben sie welchen Betrag fordert. Das muss sie allerdings begründen.

Im Fall des BSG hatte sich die Rentenversicherung ausschließlich auf die Erbquote gestützt. Das genügte dem BSG nicht. Folge: Der Rückforderungsbescheid an die uneheliche Tochter war rechtswidrig.

Quelle | BSG, Urteil vom 8.2.2023, B 5 R 2/22

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Unterhaltsrecht: Kosten der Kindertagesförderung für ein Pflegekind

| Für ein Kind in Vollzeitpflege umfasst der vom Jugendhilfeträger sicherzustellende Unterhalt über die gewährten Unterhaltspauschalen hinaus auch die den Pflegeeltern entstehenden Kosten für die Förderung in einer Kindertagesstätte, wenn diese Kosten wie in Nordrhein-Westfalen von der Pauschalierung ausgenommen worden sind. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |

Das war geschehen

Kläger war das Jugendamt einer Stadt in seiner Eigenschaft als Vormund eines Kindes, für das der Mutter die Personensorge kurz nach der Geburt im Jahr 2013 entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden war. Die beklagte Stadt bewilligte dem Kläger für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bei Pflegeeltern in einer sonderpädagogischen Pflegestelle für Kinder mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und trug hierfür die Kosten. Das Kind besuchte ab August 2015 eine Kindertagesstätte, wofür die Pflegeeltern monatlich Elternbeiträge in Höhe von 44 Euro entrichten mussten. Die Beklagte lehnte die Übernahme dieser Aufwendungen mit der Begründung ab, bei den Kosten für die Kindertagesstätte handle es sich um einen üblichen Aufwand, der bereits von den dem Kläger bewilligten und an die Pflegeeltern ausgezahlten Pauschalbeträgen für den Unterhalt des Kindes abgedeckt sei.

Die dagegen erhobene Klage hatte sowohl vor dem Verwaltungsgericht (VG) als auch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Erfolg. Das BVerwG hat die Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt.

Betreuungskosten nicht in Unterhaltsbeträgen enthalten

Der Anspruch auf Sicherung des Unterhalts eines in Vollzeitpflege zu betreuenden Kindes umfasst über den für den Sachaufwand festgesetzten Pauschalbetrag hinaus die Kosten der Kindertagesbetreuung, wenn diese Kosten bei der Festsetzung des Pauschalbetrags nicht berücksichtigt wurden. Wird Kinder- und Jugendhilfe in Form der Vollzeitpflege gewährt, ist auch der notwendige Unterhalt des zu betreuenden Kindes sicherzustellen (§ 39 des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB VIII). Dieser beinhaltet die Kosten für dessen Pflege und Erziehung und die Kosten des Sachaufwands, die bei einer Unterbringung in Pflegestellen, soweit es sich um laufende Aufwendungen handelt, in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden sollen.

Elternbeiträge variieren je Bundesland und sind nicht pauschalierbar

Die von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festzusetzenden Pauschalbeträge müssen jedoch, auch wenn es sich um typische Bedarfsbestandteile (wie hier die Kita-Beiträge) handelt, nicht solche Kostenpositionen abdecken, die sich einer sinnvollen Pauschalierung entziehen. Die pauschalierte Gewährung schließt zwar grundsätzlich die gesonderte Geltendmachung einzelner Kostenpositionen aus. Das gilt nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes jedoch nur, wenn es sich um Positionen handelt, die einer realitätsgerechten Pauschalierung zugänglich sind und jedenfalls bei der Bemessung der Pauschalsätze berücksichtigt worden sind.

Beides war hier nicht der Fall. Die Kosten für die Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen lassen sich wegen der erheblichen Unterschiede in ihrer Höhe nicht sinnvollerweise realitätsgerecht pauschalieren. Das zuständige Landesministerium hat die Pauschalbeträge für Sachkosten auch ohne Berücksichtigung der Elternbeiträge ermittelt und festgesetzt.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 27.10.2022, 5 C 4.21, PM 65/22

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Nichteheliche Lebensgemeinschaft: Keine Ausgleichsansprüche für Luxusausgaben bei gehobenem Lebensstil nach Beziehungsende

| Während einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft geschenkte Gegenstände und Geldbeträge können bei grobem Undank zurückgefordert werden. Die dafür erforderliche Verfehlung von gewisser Schwere und eine die Dankbarkeit vermissende Gesinnung konnte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main nach der Trennung eines im gehobenen Lebensstil lebenden Paares nicht feststellen. Es wies Ausgleichsansprüche des Mannes u.a. im Zusammenhang mit Kreditkartenabhebungen über die überlassene Zweitkarte und übergebener Diamant-Ohrringe in seiner Entscheidung zurück. |

Das war geschehen

Die sich bereits aus Kindertagen kennenden Parteien hatten über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren eine intime Beziehung geführt. Der Kläger überließ der Beklagten eine American Express Platinum Zweitkarte für einen Zeitraum von zehn Monaten. Sie belastete das Konto mit gut 100.000 Euro. Zudem hatte der Kläger u.a. Reisen und Einkäufe bei Chanel bezahlt und ihr Diamant-Ohrringe geschenkt. Im Rahmen der Trennung kam es u. a. zu Sachbeschädigungen durch den Kläger; die Beklagte erstattete Strafanzeige; es wurde ein aus Sicht des Klägers erschlichenes Kontaktverbot ausgesprochen. Nun begehrt der Kläger Zahlung von gut 200.000 Euro sowie die Rückgabe der Diamant-Ohrringe.

Kein grober Undank ersichtlich

Das Landgericht (LG) hat die Ansprüche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Es bestünden keine Ausgleichsansprüche, bestätigte das OLG. Die Hintergründe für die Überlassung der Kreditkarte seien offengeblieben. Dass ein Darlehen gewährt worden sei, habe der Kläger nicht beweisen können. Soweit der Kläger sich auf „aufaddierende Schenkungen“ berufe, fehle es jedenfalls an einem wirksamen Widerruf dieser Schenkungen. Der für einen Schenkungswiderruf erforderliche „grobe Undank“ liege nicht bereits dann vor, „wenn ein Partner die insoweit unterstellte nichteheliche Lebensgemeinschaft (…) verlässt, da mit der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft jederzeit gerechnet werden muss“, betont das OLG. Vorausgesetzt würde vielmehr „objektiv eine Verfehlung des Beschenkten von gewisser Schwere“, die subjektiv „Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten (ist), die in erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lässt, die der Schenker erwarten kann“. Eine solche subjektiv undankbare Einstellung sei hier nicht feststellbar.

Luxuriöser Lebensstil in diesem Einzelfall

Maßgeblich seien alle relevanten Umstände des Einzelfalls. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die behaupteten Geschenke „einem luxuriösen, exklusiven, eher konsumorientierten Lebensstil entsprangen, zu dem nach dem übereinstimmenden Vortrag der finanziell gut situierten Parteien der Einkauf in hochpreisigen Geschäften ebenso wie der regelmäßige Besuch teurer Restaurants … dazugehörte“. Das Ausgabeverhalten der Parteien habe sich während der Beziehung nicht maßgeblich geändert. Die zurückgeforderten Ausgaben seien auch nicht ersichtlich von großer finanzieller Anstrengung des Klägers oder einer prekären Situation der Beklagten geprägt gewesen. Es habe sich um Einzelbeträge im Bereich zwischen gut 60 Euro und gut 3.000 Euro gehandelt. Angesichts des „emotional aufgeladenen Trennungsgeschehen(s) und der hitzigen Auseinandersetzungen“ stützten auch die weiteren Umstände, u. a. die klägerischen Angaben gegenüber der Polizei, keinen groben Undank.

Keine Änderung der Vermögensverhältnisse durch Ausgabeverhalten

Soweit bei gemeinschaftsbezogenen Aufwendungen (sog. unbenannten Zuwendungen) eine Rückforderung in Betracht komme, wenn sie über das hinausgingen, was das tägliche Zusammenleben erst ermögliche, folge auch daraus hier kein Anspruch. Ein „korrigierender Eingriff ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn dem Leistenden die Beibehaltung der durch die Leistung geschaffenen Vermögensverhältnisse nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist“, führt das OLG aus. Auszugleichen seien damit nur solche Leistungen, denen nach den jeweiligen Verhältnissen eine besondere Bedeutung zukomme. Hier seien jedoch allein Ausgaben zu beurteilen, die „ersichtlich den gewöhnlichen Konsum im Hier und Jetzt abdecken, ohne auf die Zukunft gerichtet zu sein“.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.10.2022, 17 U 125/21, PM 78/22

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Mietrecht und WEG


Fristlose Kündigung: Die Hausverwaltung besser nicht beleidigen oder bedrohen …

| Beleidigt und droht der Mieter der Hausverwaltung, hat das Kündigungsrelevanz. Denn den Vermieter trifft dieser gegenüber eine Schutzpflicht. So hat es das Amtsgericht (AG) München nun entschieden. |

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis fristlos und erhob Räumungsklage, weil sich der Mieter gegenüber der Hausverwalterin in einem Brief u. a. so geäußert hatte: „Hoffentlich trifft Sie der Blitz, Frau H.!“. Außerdem hatte er die Hausverwalterin als „grenzdebil“ bezeichnet.

Beleidigungen und Drohungen können einen Grund zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses darstellen, so das AG. Die o. g. Formulierung des Briefs überschreite die Grenze des Zumutbaren ebenso wie die Bezeichnung der Hausverwalterin als „grenzdebil“ und rechtfertige die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ohne vorherige Abmahnung. Von einem Augenblicksversagen durch Spontanäußerungen, das die Beleidigungen in einem milderen Licht erscheinen lasse, könne im Hinblick auf die zweieinhalbseitige schriftliche Abfassung nicht ausgegangen werden.

Zwar ist die Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz (Art. 5 GG) geschützt. Daher überschreitet nicht jede deftige Formulierung die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik. Wünscht ein Mieter der Hausverwalterin aber den Tod, ist diese Schwelle überschritten. Die Kündigung ist in solchen Fällen ohne vorherige Abmahnung möglich.

Quelle | AG München, Urteil vom 24.6.2022, 461 C 19994/21

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Vertragsgestaltung: Klausel zur Fernabschaltung einer Autobatterie durch den Vermieter unwirksam

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Zulässigkeit einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Mietvertrags über eine Autobatterie entschieden, die dem Vermieter eine Fernabschaltung der Batterie ermöglicht. |

Das war geschehen

Der Kläger hat als Verbraucherschutzverein gegen die Beklagte, eine französische Bank, die Unterlassung der Verwendung von AGB-Klauseln bei Vermietung von Batterien für Elektrofahrzeuge geltend gemacht. Die Beklagte vermietet Batterien für von ihren Kunden gekaufte oder geleaste Elektrofahrzeuge. Hierfür verwendet sie „Allgemeine Batterie-Mietbedingungen“, die ihr als Vermieterin im Fall der außerordentlichen Vertragsbeendigung durch Kündigung nach entsprechender Ankündigung die Sperre der Auflademöglichkeit der Batterie erlauben. Der Kläger macht geltend, die AGB-Klausel sei unwirksam, weil sie eine unangemessene Benachteiligung der Mieter enthalte.

Das Landgericht (LG) hat die Vermieterin antragsgemäß zur Unterlassung einer Verwendung der Klausel gegenüber Verbrauchern verurteilt. Das Berufungsgericht hat die von ihr eingelegte Berufung zurückgewiesen. Das Sperren der Auflademöglichkeit stelle eine sog. verbotene Eigenmacht dar; ein Eingriff in die unmittelbare Sachherrschaft des Besitzers dürfe aber nur aufgrund eines staatlichen Vollstreckungstitels erfolgen.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH: Die streitgegenständliche Klausel stellt eine einseitige Vertragsgestaltung dar, mit der die Beklagte missbräuchlich die eigenen Interessen auf Kosten der Mieter durchzusetzen versucht, ohne deren Interessen angemessen zu berücksichtigen. Durch die allein in der Macht des Vermieters liegende Sperrmöglichkeit wird die Last, sich die weitere Nutzung zu sichern, auf den Mieter abgewälzt. Darin liegt jedenfalls dann eine unangemessene Benachteiligung des Mieters als Verbraucher, wenn dieser die Weiterbenutzung seines gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten E-Fahrzeugs im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung einer weiteren Gebrauchsüberlassung der Batterie erreichen kann.

Batteriesperre war unangemessen

Zwar liegt es grundsätzlich im berechtigten Interesse des Vermieters, dass er nach wirksamer Beendigung des Mietvertrags die weitere Nutzung des Mietobjekts unterbinden kann. Auf der anderen Seite steht aber das Interesse des Mieters, sich die weitere Vertragserfüllung zu sichern. Dieses ist als berechtigt anzuerkennen, wenn die Wirksamkeit der Kündigung zwischen den Vertragsparteien streitig ist. Beruft sich etwa der Mieter auf eine Mietminderung oder ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln, läuft er Gefahr, dass der Vermieter ungeachtet dessen die Kündigung erklärt und das Mietobjekt per Fernzugriff sperrt. Das gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn das Mietobjekt und dessen fortgesetzte Nutzung für den Mieter von erheblichem Interesse sind.

Absicherung über Mietkaution wäre möglich gewesen

Dementsprechend ist die gesetzliche Risikoverteilung beim Mietverhältnis dadurch geprägt, dass der Vermieter aufgrund der Überlassung des Mietobjekts grundsätzlich das Risiko der nach Mietvertragsbeendigung fortgesetzten (Ab-)Nutzung trägt. Dagegen kann er sich durch Vereinbarung einer Mietkaution absichern. Außerdem steht ihm ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zu. Die streitgegenständliche Klausel erlaubt dagegen einen Zugriff auf die Batterie und mittelbar auch auf das E-Fahrzeug, das für den Mieter infolge der Batteriesperrung nutzlos wird. Dadurch, dass die Batterie herstellergebunden und mit dem E-Fahrzeug verknüpft ist, hat der Mieter keine zumutbare Möglichkeit, die gesperrte Batterie durch ein anderes Fabrikat zu ersetzen, um das E-Fahrzeug weiter betreiben zu können. Mit dem E-Fahrzeug wird somit neben der Batterie ein wesentlich höherwertiger Vermögensbestandteil für ihn unbrauchbar bzw. ein Nutzungsrecht daran entwertet. Hinzu kommt, dass das längerfristig angeschaffte bzw. gesondert gemietete oder geleaste E-Fahrzeug vom Mieter oft beruflich genutzt wird und regelmäßig auch für die private Lebensgestaltung von wesentlicher Bedeutung ist.

AGB-Klausel nicht rechtskonform

Wenn unter diesen Umständen bei einem Streit über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung abweichend von der gesetzlichen Risikoverteilung die Klagelast durch AGB auf den Mieter abgewälzt werden soll, verstößt die entsprechende Klausel gegen geltendes Recht (hier: § 307 Abs. 1, 2 BGB). Denn der mit der Sperrung einhergehende Ausschluss von der Nutzung der Batterie und folglich auch des E-Fahrzeugs geht mit seinen Wirkungen über die Batterie als Mietobjekt wesentlich hinaus. Eine solche Gestaltung lässt sich auch nicht durch das Interesse der Beklagten an der Sicherung gegen den mit der Abnutzung der Batterie nach Vertragsbeendigung verbundenen Vermögensschaden rechtfertigen.

Quelle | BGH, Urteil vom 26.10.2022, XII ZR 89/21, PM 151/22

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Verbraucherrecht


Reiserecht: Kreuzfahrt: Ohne Corona-Impfung keine Kostenerstattung

| Die Corona-Pandemie hat für viele Menschen Einfluss auf deren Urlaubsplanung gehabt. Mit dem Beginn der Impfungen haben auch zahlreiche Reiseveranstalter ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Voraussetzung für die Reise war aber oft ein vollständiger Impfschutz. Das Amtsgericht (AG) Ansbach musste sich nun mit der Klage einer Frau beschäftigen, der der Zugang zu einem Kreuzfahrtschiff wegen fehlender Impfung verweigert wurde. Daher verlangte sie den Reisepreis und die Kosten für eine Übernachtung am Hafen in Höhe von knapp 2.000 Euro von der Reederei zurück. |

Das war geschehen

Anfang September 2021 buchte die Frau für ihren Mann und sich bei einer amerikanischen Kreuzfahrtgesellschaft eine Mittelmeerkreuzfahrt. Als das Paar Anfang Oktober die Reise antreten wollte, wurde ihnen der Zugang zum Schiff verweigert, da sie keinen vollständigen Impfschutz durch zwei Impfungen nachweisen konnten. Das Ehepaar war im März 2021 an Corona erkrankt gewesen und hat sich nach der damals gültigen Empfehlung des Robert-Koch-Instituts noch einmal vor der geplanten Einschiffung impfen lassen.

Internationale Reederei: Empfehlungen des deutschen RKI nicht maßgeblich

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Reederei hatte nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie nur vollständig geimpfte Gäste an Bord lässt, die zweimal mit einem Impfstoff des gleichen Herstellers geimpft sind. Dieser Hinweis fand sich sowohl bei der Buchung als auch auf einer zusätzlichen Informationsseite der Reederei auf deren Homepage. Nachdem es sich bei der Reederei um einen international tätigen Konzern mit Hauptsitz in den Vereinigten Staaten handelt, konnte sich das Ehepaar auch nicht darauf verlassen, dass diese den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts folgen würde. Außerdem war im September 2021 bereits bekannt, dass die meisten Impfstoffe für einen vollständigen Impfschutz zwei Impfdosen benötigten.

Nachdem die Klägerin ihre zunächst eingelegte Berufung wieder zurückgenommen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

Quelle | AG Ansbach, Urteil vom 1.4.2022, 2 C 1102/21, PM 4/22

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Diffamierung im Internet: Wer „löschen“ muss, muss gründlich sein …

| Häufig beantragen Gläubiger Ordnungsgelder gegen Schuldner, wenn diese diffamierende Internetinhalte nicht löschen. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat noch einmal betont, wie weitreichendend die Pflichten der Schuldner sind: Diese müssen auch an Verlinkungen und Cachespeicher von Suchmaschinen denken. Sie können nicht damit argumentieren, dass sie den Überblick verloren haben. |

Das war geschehen

Der Schuldner hatte auf einer Internetplattform einen Artikel veröffentlicht („Ist Frau K. S. eine Kinderrechteschänderin?“) und verlinkte in einer Online-Gruppe auch zu seinem Artikel. Das Landgericht (LG) Stade verpflichtete ihn, es zu unterlassen, sich über die Gläubigerin identifizierend zu äußern oder zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, diese wäre eine Kinderrechteschänderin. Obwohl ihm der Beschluss schon am 4.4.2022 zuging, waren Links zu dem Artikel danach noch abrufbar. Den Artikel selbst hatte er allerdings schon gelöscht. Die Gläubigerin legte dem Gericht Screenshots vor, sodass dieses wegen Zuwiderhandlung gegen seine Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld von 1.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, gegen den Schuldner verhängte.

Inhalte sind nachhaltig aus dem Netz zu entfernen

Schuldner müssen in solchen Fällen den „fortdauernden Störungszustand“ beseitigen. Bezogen auf Aussagen im Internet heißt das, dass mit geeigneten Maßnahmen sicherzustellen ist, dass die Inhalte nicht mehr im Netz abrufbar sind, und zwar weder über die Webseite direkt noch über eine Internetsuchmaschine. Es besteht die Pflicht, auf gängige Suchmaschinen vor allem Google einzuwirken, damit der gelöschte Beitrag nicht weiter über Suchmaschinen infolge einer Speicherung in deren Cachespeicher erreichbar ist. Der Schuldner hätte also in den besuchten Gruppen aktiv nach seinen auch älteren, weiter zurückliegenden Beiträgen forschen und sie löschen lassen müssen.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 19.8.2022, 5 W 25/22, Abruf-Nr. 231584 unter www.iww.de; OLG Celle, Beschluss vom 21.8.2017, 13 W 45/17

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Verwaltungsrecht: Fiktives Geburtsdatum im Ausweis nicht erlaubt

| Ein im Jahr 1957 in Algerien geborener Kläger mit deutscher Staatsangehörigkeit, dessen konkretes Geburtsdatum unbekannt ist, hat keinen Anspruch auf Eintragung eines fiktiven Geburtsdatums in seinen Personalausweis und seinen Reisepass. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |

Geburtsdatum unbekannt

Im Personalausweis und im Reisepass des Klägers ist als Geburtsdatum „XX.XX.1957“ eingetragen. Hintergrund ist der Umstand, dass der Kläger, dem sein tatsächliches Geburtsdatum unbekannt ist, kein Dokument seines Geburtslandes vorlegen konnte, das ein konkretes Geburtsdatum ausweist. Er verfügt lediglich über einen Auszug aus dem Geburtenregister seines Geburtslandes, aus dem sich sein Geburtsjahr ergibt, nicht jedoch der konkrete Geburtsmonat bzw. -tag. Auch seine alte und leicht demente Mutter kennt seinen Angaben zufolge das genaue Geburtsdatum nicht.

Nachteile wegen fehlender Angaben

Seinen Antrag, ihm neue Ausweisdokumente auszustellen und darin ein fiktives Datum einzutragen, lehnte die Stadt Ludwigshafen ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob er Klage, mit der er sein Begehren weiterverfolgte. Hierzu machte er geltend, infolge der unvollständigen Eintragungen in seinen Ausweisdokumenten erleide er immer wieder erhebliche Nachteile, insbesondere bei Reisen in außereuropäische Länder, bei der Korrespondenz mit dem Finanzamt oder wenn er im Internet einen Vertrag abschließen wolle, bei dem seitens des Vertragspartners die Angabe des Geburtsdatums als zwingende Voraussetzung gefordert werde.

Das Verwaltungsgericht (VG) gab der Klage statt und verpflichtete die beklagte Stadt, in den Personalausweis und den Pass des Klägers einen konkreten Geburtstag und Geburtsmonat einzutragen. Der Kläger habe zur Wahrung seines Persönlichkeitsrechts und aus Gründen des im Rechtsstaatsgebot wurzelnden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einen Anspruch auf Eintragung eines „echten“ Geburtsdatums in seinen Ausweisdokumenten. Dies könne z. B. der 1. Januar oder auch ein anderer Tag sein. Auf die Berufung der Beklagten hob das OVG das Urteil auf und wies die Klage ab.

Oberverwaltungsgericht: Kein Anspruch des Klägers auf gegriffenes Geburtsdatum

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Eintragung eines gegriffenen Geburtsdatums hier in Form eines fiktiven Geburtsmonats und -tags in seinen Personalausweis oder Reisepass. Schon das VG habe zutreffend festgestellt, dass aus dem Anspruch auf Ausstellung eines Ausweises oder Passes nach den Vorschriften des Personalausweis- und des Passgesetzes grundsätzlich nur ein Anspruch auf Eintragung der richtigen Daten im Dokument folge. Ein Anspruch des Klägers auf Erfassung eines gegriffenen Geburtsdatums in seinen Ausweisdokumenten folge auch nicht aus europarechtlichen Regelungen. Vielmehr existiere sowohl für den Reisepass als auch den Personalausweis (jeweils) eine europäische Verordnung, die die Behandlung unbekannter Geburtsdaten entsprechend der Vorgehensweise der Beklagten ausdrücklich vorsehe.

Gesetzgeber gefordert

Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht lasse sich vorliegend weder im Hinblick auf die Grundrechte des Grundgesetzes noch in Bezug auf die Unionsgrundrechte feststellen. Die ausschließliche Erfassung wahrer Geburtsdaten und die Eintragung von Platzhaltern für unbekannte Bestandteile dieses Datums seien ohne Weiteres geeignet, die hiermit vom Gesetzgeber offensichtlich bezweckte inhaltliche Richtigkeit sämtlicher Personaldateneintragungen in den Ausweisdokumenten bestmöglich zu gewährleisten. Daneben würden mit dieser Vorgehensweise einheitliche Sicherheitsstandards für Pässe und Reisedokumente zum Schutz vor Fälschungen bzw. zur Verhinderung eines Identitätsbetrugs festgelegt. Mildere, gleich geeignete Mittel seien im Hinblick auf die erstrebte umfassende inhaltliche Richtigkeit der Personaldateneintragungen bereits nicht ersichtlich. Schließlich werde die Grenze der Zumutbarkeit bei der gebotenen Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe vorliegend noch gewahrt. Soweit es aufseiten des Klägers zu Beeinträchtigungen komme, insbesondere in den Bereichen Reisen, Online-Vertragsabschlüsse sowie über das Internet abzugebende Erklärungen gegenüber Behörden, stünden ihm regelmäßig andere Wege offen, um seine Vorhaben umzusetzen, die ihn (noch) nicht über die Maße belasteten. Es sei Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob bei weiter voranschreitender Digitalisierung eine Änderung der derzeitigen Gesetzeslage geboten erscheine.

Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.11.2022, 7 A 10318/22, PM 19/22

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Datenschutzrecht: Schufa-Eintrag bei bestrittener Forderung unzulässig

| Haben Inkassounternehmen bei der Einziehung von Forderungen keinen Erfolg, melden sie dies regelmäßig als „Zahlungsstörung“ an die Wirtschaftsauskunftei Schufa. Die Folge: ein negativer Eintrag des Schuldners, der dann Probleme bei der Kreditkartenzahlung oder der Eröffnung eines Girokontos bekommen kann. Das Landgericht (LG) Frankenthal hat nun in einem Eilverfahren gezeigt, dass eine Weitergabe solcher Daten an die Schufa nur in Grenzen zulässig ist. Der Schuldner muss über die Informationsweitergabe unterrichtet werden; wenn er bestreitet, dass die Forderung besteht, darf kein Eintrag erfolgen. Werden die Daten trotzdem übermittelt, kann der Schuldner verlangen, dass die Meldung widerrufen und künftig unterlassen wird. |

Das war geschehen

Eine Frau erhielt ein Schreiben eines Inkassounternehmens wegen einer Forderung in Höhe von rund 900 Euro. Der Rückstand sollte aus einem lange zurückliegenden Mietstreit stammen. Die Frau wies die Forderung als nicht begründet zurück und hörte dann erst einmal nichts mehr von der Sache. Einige Monate später erfuhr sie von einem negativen Schufa-Eintrag zu ihrer Person. Aufgrund dieses Eintrags wurde ihre Kreditkarte gesperrt, Kreditkartenzahlungen nicht mehr angewiesen und die Eröffnung eines Girokontos abgelehnt. Sie wandte sich deshalb mit einem Eilantrag an das LG.

Landgericht: Meldung der Zahlungsstörung ist zu widerrufen

Das LG hat das Inkassounternehmen dazu verpflichtet, die Meldung der Zahlungsstörung an die Schufa zu widerrufen. Wegen dieser Forderung darf künftig keine Meldung erfolgen.

Nach der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) sei die Verarbeitung personenbezogener Daten nämlich nur gestattet, wenn dies zur Wahrung von berechtigten Interessen erforderlich sei und nicht die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person verletze. Wer von solchen Einträgen betroffen sei und die Forderung bestreite, müsse deshalb das Recht haben, sich rechtzeitig dagegen zur Wehr zu setzen. Hiergegen sei vorliegend verstoßen worden, so das LG.

Gegen diese Entscheidung im Eilverfahren hat das Inkassounternehmen keinen Widerspruch eingelegt.

Quelle | LG Frankenthal, Beschluss vom 28.6.2022, 8 O 163/22, PM vom 26.10.2022

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Nachbarschaftsstreit: Regelmäßiger Verstoß gegen Vereinbarung: ein teures Parkvergnügen!

| Wenn Parteien einen Vergleich schließen, weil sich Nachbarn durch Parkgewohnheiten behindern, sollte man sich an die „Spielregeln“ halten. Andernfalls kann dies mehrfach erhebliche Beträge kosten im vorliegenden Fall noch einmal 9.300 Euro, wie das Oberlandesgericht (OLG) Dresden nun entschieden hat. |

Die Parteien wohnen einander direkt gegenüber in einer engen Wohnstraße. Seit einigen Jahren stellt sich der Beklagte mit seinem Pkw regelmäßig direkt auf die Straße vor seiner eigentlichen Grundstückseinfahrt und damit genau gegenüber der Einfahrt der Klägerin , obwohl er auch etwas versetzt oder in seiner eigenen Einfahrt parken könnte. Hierdurch kann die Klägerin aus ihrer Einfahrt nur sehr schwer hinein- und herausfahren.

Schon 2019 war der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin gerichtlich gegen die Parkgewohnheiten des Nachbarn vorgegangen. Damals hatten die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach der Beklagte sein Auto täglich bis zu fünfmal für maximal 10 Minuten auf der Straße vor seiner Grundstückseinfahrt abstellen darf. Für jeden Verstoß wurde eine Vertragsstrafe von 150 Euro vereinbart.

Der Beklagte stellte in der Folge sein Fahrzeug weiter an gewohnter Stelle ab. Die Klägerin, die nach dem Tod ihres Ehemannes in den Prozess eingetreten ist, und ihr Ehemann protokollierten die zahlreichen Parkverstöße des Nachbarn und machten die Vertragsstrafen gerichtlich geltend. 2020 verurteilte das Landgericht (LG) den Beklagten wegen 44 Verstößen dazu, 3.300 Euro an die Kläger zu zahlen, und 2021 wegen 83 weiteren Verstößen 11.850 Euro zu zahlen. Im März 2022 hat das Landgericht (LG) den Beklagten wiederum zur Zahlung einer Vertragsstrafe verurteilt, diesmal wegen 67 Verstößen zu 10.500 Euro. Seine dagegen eingelegte Berufung blieb im Wesentlichen erfolglos. Lediglich acht Verstöße hat das OLG nicht als erwiesen angesehen und die Vertragsstrafe deshalb um 1.200 Euro reduziert.

Weshalb der betagte Beklagte sein Parkverhalten trotz guten Zuredens durch das Gericht nicht ändert und es vorzieht, in regelmäßigen Abständen zu hohen Vertragsstrafen verurteilt zu werden, weiß niemand.

Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 18.10.2020, 6 U 580/22, PM vom 20.10.2022

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Verkehrsrecht


Betrugsrisiko: Vorsicht bei unbegleiteten Probefahrten

| Wer einem Kaufinteressenten einen Pkw für eine unbegleitete Probefahrt überlässt, riskiert im schlimmsten Fall, dass der vermeintliche Interessent das Fahrzeug einer anderen Person wirksam verkauft und übereignet. Ein solcher Fall lag nun dem Oberlandesgericht (OLG) Celle vor. |

Das war geschehen

Ein Autohaus gab einem angeblichen Kaufinteressenten einen Audi Q5 für eine einstündige Probefahrt. Der Interessent, der falsche Personalien angegeben hatte, kehrte nicht zurück. Stattdessen inserierte er das Fahrzeug auf der Verkaufsplattform Ebay und verkaufte es schließlich für 31.000 Euro in bar. Bei dem Verkauf übergab seine Frau dem Käufer gefälschte Fahrzeugpapiere. Der Käufer übergab das Fahrzeug zwei Wochen später der Polizei, die es dem Autohaus zurückgab. Dieses verkaufte es anschließend für 35.000 Euro. Der getäuschte Käufer verlangt diesen Erlös heraus.

Getäuschter Käufer verklagte das Autohaus

Zu Recht, so das OLG, weil er das Eigentum wirksam von dem „Betrüger“ erlangt hatte. Zwar kann grundsätzlich nur der Eigentümer wirksam über eine Sache verfügen. Übergibt ein Nichtberechtigter die Kaufsache aber beim Verkauf an den Käufer, kann dieser auch dann Eigentümer werden, wenn die Sache tatsächlich nicht dem Verkäufer gehörte.

Autohaus handelte fehlerhaft

Ein solcher sog. gutgläubiger Erwerb von einem Nichtberechtigten scheidet zwar aus, wenn die Kaufsache dem wahren Eigentümer gestohlen wurde oder ihm sonst abhandengekommen ist. Hier hatte das Autohaus den Wagen aber freiwillig für eine unbegleitete einstündige Probefahrt herausgegeben. Damit hatte es den Besitz an dem Pkw freiwillig aufgegeben, auch wenn das Auto über eingebaute SIM-Karten geortet werden konnte. Diese Ortungsmöglichkeit stand einer Begleitung bei der Probefahrt schon deshalb nicht gleich, weil eine Ortung nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung über die Polizei und den Hersteller möglich war. Sie schloss einen gutgläubigen Erwerb des Wagens daher nicht aus.

Professionelle Fälschung der Kfz-Papiere nicht zu erkennen

Darüber hinaus scheidet ein gutgläubiger Erwerb zwar auch dann aus, wenn der Käufer grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass der Verkäufer nicht der Eigentümer war. Bei dem Kauf eines Kraftfahrzeugs muss er sich zumindest den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lassen, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Die Zulassungsbescheinigung war hier aber so professionell gefälscht, dass der Käufer die Fälschung nicht erkennen musste. Der Verkauf eines gebrauchten Pkw auf der Straße gegen Bargeld ist nach Auffassung des Senats auch nicht unüblich und musste keinen Verdacht erwecken, zumal der Kaufpreis nicht auffallend günstig war. Dass der Verkäufer den Zweitschlüssel nicht mit übergeben konnte, hatte er nachvollziehbar damit erklärt, dass sich der Käufer erheblich verspätet hatte, er selbst nicht habe warten können und vergessen habe, seiner Frau den Zweitschlüssel zu geben.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 12.10.2022, 7 U 974/21, PM vom 20.10.2022

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Fahreignung: Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtvorlage eines fachärztlichen Gutachtens

| Das Verwaltungsgericht (VG) Trier hat einen Eilantrag gegen eine Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtbeibringung eines angeforderten fachärztlichen Gutachtens über die Fahreignung abgelehnt. |

Das war geschehen

Der 89-jährige Antragsteller wurde im Februar des Jahres von der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde dazu aufgefordert, sich einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, weil Zweifel an seiner Fahreignung entstanden seien. Nach einem hausärztlichen Attest leide er unter Hypertonie und Sturzneigung. Hinzu kämen zahlreiche weitere Aspekte, die Bedenken gegen die Fahreignung nahelegten. Der Senior sei 2017 und 2021 in Parkraumunfälle verstrickt gewesen und habe bei den jeweiligen Unfallaufnahmen durch Polizeibeamte einen verwirrten Eindruck hinterlassen. Anlässlich der letzten Verkehrsunfallaufnahme sei zudem eine Vielzahl von alten Unfallschäden am gesamten Fahrzeug festgestellt worden. Diese Schäden habe der Senior nicht plausibel erklären können, sondern habe insoweit widersprüchliche Angaben gemacht.

Angefordertes Gutachten nicht vorgelegt

Der Senior legte ein entsprechendes Gutachten innerhalb der ihm gesetzten Frist von vier Monaten nicht vor; einen ihm angebotenen Begutachtungstermin im Juni des Jahres nahm er nicht wahr. Daraufhin entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid die Fahrerlaubnis.

Fahrerlaubnisrechtliche Nichteignung des Seniors

Zu Recht, so das VG. Die Fahrerlaubnisbehörde sei rechtlich zutreffend von der fahrerlaubnisrechtlichen Nichteignung des Seniors ausgegangen, nachdem dieser das im Februar angeforderte fachärztliche Gutachten nicht vorgelegt habe. Sie sei berechtigt, Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn Tatsachen bekannt würden, die für sich gesehen noch nicht für eine rechtsfehlerfreie Annahme einer fahrerlaubnisrechtlichen Nichteignung ausreichten, die aber konkrete Bedenken an der Fahreignung des Betroffenen begründeten. Weigere der Betroffene sich, eine berechtigterweise angeordnete Begutachtung durchführen zu lassen, oder lege er das Untersuchungsergebnis nicht fristgerecht vor, könne die Behörde auf die Nichteignung schließen.

Begründete Bedenken an Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen

Vorliegend sei die Gutachtensanforderung berechtigterweise erfolgt. Der Fahrerlaubnisbehörde seien Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken an der körperlichen oder geistigen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründeten. Ausreichend seien insoweit alle Tatsachen, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigten, es könne eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen. Ob solche Verdachtsmomente vorlägen, beurteile sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls. Diese rechtfertigten vorliegend die getroffene Gutachtensanordnung.

Erkrankungen und Vielzahl an Unfallschäden lagen vor

Die ärztlich attestierte Hypertonie und Sturzneigung reichten für sich genommen bereits aus, um Zweifel an der Eignung des Seniors zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen; erst recht gelte dies in der Gesamtschau der vielen bekannt gewordenen weiteren Umstände. Anlässlich der Verkehrsunfallaufnahmen 2017 und 2021 habe er einen verwirrten Eindruck und teilweise nicht nachvollziehbare Angaben zum Unfallgeschehen gemacht. Im Übrigen seien im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme viele alte Unfallschäden am Pkw vorgefunden worden, deren Entstehung nicht nachvollziehbar, sondern vielmehr mit sich widersprechenden Angaben erklärt worden sei. All dies begründe erhebliche Eignungszweifel. Die dem Senior eingeräumte Frist von vier Monaten zur Vorlage des Gutachtens sei angemessen gewesen. Er habe im Juni des Jahres auch die Möglichkeit zur Wahrnehmung eines Gutachtertermins gehabt. Diesen habe er jedoch in vorwerfbarer Weise nicht wahrgenommen.

Quelle | VG Trier, Beschluss vom 13.9.2022, 1 L 2108/22.TR, PM 24/22

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Frontalunfall: (Keine) Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr?

| Wer sich sieben Wochen in einem Land mit Linksverkehr aufhielt, handelt regelmäßig lediglich unachtsam und nicht rücksichtslos, wenn er bei seiner ersten Fahrt in Deutschland gegen das Rechtsfahrgebot verstößt. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken nun klargestellt. |

 

Siebenwöchiger Urlaub in Thailand

Der Angeklagte verbrachte einen siebenwöchigen Urlaub in Thailand. Noch am Tag seiner Rückkehr fuhr er mit seinem Pkw auf der linken Spur einer Landstraße. Nach zwei bis drei Minuten Fahrtzeit kollidierte er in einem Kurvenbereich frontal mit einem auf derselben Fahrspur entgegenkommenden Pkw. Der Angeklagte hatte sich weder vor Fahrtantritt noch während der Fahrt darüber Gedanken gemacht, dass in Deutschland anders als in Thailand Rechtsverkehr herrscht. Die Unfallgegnerin und ihr Beifahrer wurden bei dem Unfall verletzt.

Amtsgericht und Landgericht mit „harten Entscheidungen“

Das Amtsgericht (AG) hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von weiteren acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Landgericht (LG) Kaiserslautern hat diese Entscheidung bestätigt.

Oberlandesgericht lässt Milde walten

Auf die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat das OLG das Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist, nicht jedoch der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung. Wegen der deshalb auszusprechenden Rechtsfolgen muss sich das LG erneut mit dem Fall befassen.

Zur Begründung hat das OLG ausgeführt: Eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung setze ein rücksichtsloses Handeln voraus, was im Fall des Angeklagten nicht angenommen werden könne. Rücksichtslos handele ein Fahrer, der sich konkret seiner Pflicht bewusst sei, sich aber dennoch nicht an sie halte. Rücksichtslos handele auch, wem es egal sei, ob er sich an seine Pflichten als Teilnehmer im Straßenverkehr halte und einfach, ohne an die Folgen zu denken, drauflosfahre. Es müsse sich um ein überdurchschnittliches Fehlverhalten handeln, das von einer besonders verwerflichen Gesinnung geprägt sei. Gelegentliche Unaufmerksamkeit oder reine Gedankenlosigkeit würden hierfür nicht genügen. Der Angeklagte habe sich hier zwar über das Rechtsfahrgebot hinweggesetzt. Dabei habe er aber nicht bewusst oder aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Straßenverkehrsteilnehmern gehandelt, sondern lediglich aus Unachtsamkeit, nachdem er sich sieben Wochen in einem Land aufgehalten habe, in dem Linksverkehr herrsche.

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.11.2022, 1 OLG 2 Ss 34/22, PM vom 6.2.2023

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Abschließende Hinweise


Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum 30. Juni 2023 beträgt 1,62 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 6,62 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 10,62 Prozent*

* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 9,62 Prozent.

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.07.2022 bis 31.12.2022

-0,88 Prozent

01.01.2022 bis 30.06.2022

-0,88 Prozent

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

01.01.2011 bis 30.06.2011

0,12 Prozent

01.07 2010 bis 31.12.2010

0,12 Prozent

01.01.2010 bis 30.06.2010

0,12 Prozent

01.07 2009 bis 31.12.2009

0,12 Prozent

01.01.2009 bis 30.06.2009

1,62 Prozent

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Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 03/2023

| Im Monat März 2023 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer (Monatszahler): 10.3.2023
  • Lohnsteuer (Monatszahler): 10.3.2023
  • Einkommensteuer (vierteljährlich): 10.3.2023
  • Kirchensteuer (vierteljährlich): 10.3.2023
  • Körperschaftsteuer (vierteljährlich): 10.3.2023

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 13.03.2023. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat März 2023 am 29.03.2023.

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